











Auf dem Abreisefoto sieht man die Ware, die ich (gegen unerwarteten Aufpreis) mit in den Flieger genommen habe. Ein grosses Paket mit Billigsachen habe ich per Schiff auf die Reise geschickt.
Eine Nostalgieseite für den legendären Aachener Schallplattenladen DRAGNET RECORDS, die angebundenen Indie und Industrial Label SCOUT RELEASES, ELVES, DRAGNET, DRADOMEL und DRAG & DROP. Rückblicke und Soundfiles zu diversen Veröffentlichungen und knapp gescheiterten Produktionen. Erinnerungen an die vielseitigen Aktionen, Gigs und Anekdoten der Betreiber und Mitarbeiter.
Als Anfang der 90er die CDs immer mehr Anteile des Ladenprogramms an sich reißen wollten, stellte sich die nicht unerhebliche Frage, wie man Platz schaffen könne ohne auf die Quantität des Vinylangebots verzichten zu müssen. Es wurde nicht nur eine sehr platzsparende, sondern auch eine ästhetische Lösung (im Besonderen für die Vinylisten) gefunden. Das unsympathischste an dem Medium CD war/ist das Plastik der CD-Jewelcases und des Trays.
Das recht arbeitsintensive Handling die CD Produkte zugänglich zu machen, sah wie folgt aus: Zuerst mussten die Neueingänge in einen ATARI (jawohl!) Computer eingegeben werden. Genaugenommen in ein von einem Betreiberfreund namens Mathias geschriebenes Etikettenprogramm. Also Interpret/Titel/Label/Preis und falls möglich eine kurze, präzise Kurzanmerkung. Diese wurden dann auf Etiketten gedruckt und auf eigens zugeschnittene graue Plastikwände geklebt. Dann wurde das Booklet entnommen und unter das Etikett auf die Plastikwand gelegt. Darüber wurde dann eine PVC CD-Plastiktasche geschoben. Die Original-CD inkl. Tray und Inlaycard wurde im kleinen Lager des Shops (auf dem mäßigen Foto ist nur eine Teilansicht zu sehen) alphabetisch wegsortiert, was nicht immer ganz fehlerfrei funktionierte.
Diese Art der Präsentation sparte immensen Platz. Auf dem CD-Tisch in der Mitte des hinteren Bereiches des Ladenlokals wurden insgesamt 32 Reihen mit jeweils 170-180 CDs pro Reihe angeboten.
Also deutlich ÜBER 5000 CDs.
Noch einmal gut 800 Industrial/Avantgarde CDs waren direkt beim entsprechenden LP-Material untergebracht. Diese besondere Art der Präsentation erforderte aber auch ein Umdenken der Kundschaft, das nicht immer ganz reibungslos verlief. Während der eine Kunde nach der Frage wo denn die CDs stehen, die Mundwinkel nach unten zog, ob der vermeintlich überschaubaren Auswahl oder ein weiterer Kunde vielleicht lange Zeit dachte, das CD-Angebot beschränke sich auf die drei bis vier 20er CD-Racks mit den aktuellsten Neuerscheinungen und 2nd Hand Neueingängen, die in all ihrer Plastikhässlichkeit wohlgemerkt DIREKT auf der Theke platziert waren. Nach und nach gewöhnte sich aber unsere geschätzte Kundschaft an das System und nicht wenige begrüßten die Kurzanmerkungen auf den Etiketten.
EINEN besonderen Fall aber gibt es dazu noch zu erzählen. Eines schönen Tages betrat ein mir bis dahin unbekannter Kunde den Laden, sah sich zufrieden um und landete schließlich bei dem CD-Tisch, wo er links bei A anfing, Titel für Titel durchzublättern und hin und wieder die ein oder andere Einheit länger begutachtete.Es gab nicht viele Kunden, die die Geduld hatten, das komplette CD-Programm mit einem Male durchzusehen, irgendwann wurden sie der Masse gewahr. Nicht so DIESER Kunde. Ich weiß nicht mehr wie lange er brauchte, aber es zog sich hin. Nach dieser langen Zeitspanne kam er dann OHNE ein Teil in der Hand zur Theke und fragte (Zitat): Haben sie auch CDs ??
Champions League Noisemaker MERZBOW hat auch auf unserem Sidelabel DRADOMEL, das übrigens eine freundschaftliche Kooperation von DRAGNET RECORDS und DOM ELCHKLANG war, seine krachig-konkreten Spuren hinterlassen. Elchklangboy Achim hatte seinerzeit bereits Kontakte zu Masami Akita aka Merzbow und so kam es erst einmal recht unkompliziert zu der Entscheidungsfindung diese LP zu veröffentlichen. Allerdings war diese Produktion von einigen Schatten begleitet. Durch Masami’s zumindest damaliges rudimentäres Englisch, kam es erst einmal zu einer Verwechslung des Titels. Während wir die Produktion inkl. Promosheets unter dem Titel HANGOVER INTERRUPTION bewarben und in Auftrag gaben, erfuhren wir überraschend (spät), dass der Titel HANNOVER INTERRUPTION lauten sollte. Wenn ich mich denn recht entsinne, erschien eine erste Auflage in unakzeptabler Form. Fast 90% des Vinyls war etwas mehr als leicht verzogen (gewellt). Diese landeten dann, bis auf wenige Exemplare (vielleicht 40-50) im Müll. Diese nun extrem seltene Pressung ist relativ leicht an dem Labelaufdruck zu erkennen. Das Ameisenlabel wurde in der Zweitauflage ersetzt durch das 650er Label. Nur 200 Exemplaren wurde eine Postkarte hinzugefügt, da eine ortsansässige Druckerei schlampig gearbeitet hatte und mehr als 300 Postkarten aneinander pappten und verschmiert waren.
Ich erinnere mich auch sehr gut an einen Vorfall in dem tschechischen Presswerk nahe Prag mit dem einprägsamen Namen GRAMOFONOVE ZAVODY oder so ähnlich, als wir beim Mastering zugegen waren und einige der Angestellten vor totalem Unverständnis ob dieser Klänge die Köpfe minutenlang schüttelten, lautstark lachten und als Pointe ein klar artikuliertes deutsches Wort zustande brachten: SCHWEINEMUSIK !
Und wenn man es denn genau nimmt, so sind auf DIESER Merzbow Platte keine wirklichen Überraschungen zu erwarten. Der damals typische improvisierte und nicht konstruierte MERZBOW Lärm klingt nicht wesentlich anders als auf unzähligen seiner anderen Releases (was nicht heißen soll, dass Merzbow nicht einige bemerkenswerte VÖs verbuchen kann, vornehmlich in den späten 90ern und frühen Nuller Jahren und natürlich mit seinem RRRECORDS Meisterwerk BATZTOUTAI WITH MEMORIAL GADGETS) und ich gebe zu, ähnlich wie bei der ersten DRAGNET VÖ von Master/Slave Relationship, dass es uns hier im Wesentlichen um ‚Namedropping’ ging und somit ein ausdrucksstarker Start in die Szene erfolgen sollte (was dann ja auch geschah). Als Soundfile wird hier die komplette erste Seite der LP zur Verfügung gestellt. Wer mehr BRAUCHT, schicke bitte ein mail oder einen Kommentar und ich nehme auch die 2. Seite auf und stelle sie ein.
Folgendes Review konnte ich online finden:
This album finds Merzbow in full-on, harsh-noise mode, at least at first listen. The more one becomes acclimated to the sound, the more layers of activity emerge: electric groans and roars, bird-call-like feedback, moog sirens, percussive analog static, thousands of pots and pans falling down a hill, even the occasional vocal. It's this artful layering of sound (among other things) that separates Merzbow from some jag-off that just turns on a noise generator and walks away. To my knowledge, these recordings are not included in the massive 50-CD though the Merzbox does include a disc called Hannover Cloud dated 1990.
Wenn jemals die Adjektive düster und bedrohlich als Bezeichnung für Musik angebracht waren, dann definitiv für DIESE Produktion des kanadischen Dreigespanns - Fido Samworthy, Carra Geenan, Sylvia Fischer. „Music for nightmares“ wäre der zwar actionbehaftete, aber mehr als passende Untertitel. Gäbe es einen Soundtrack zu Dante’s Inferno, so wäre es die Musik auf dieser CD. Nach der ersten auf 100 Stück limitierten Vinyl-LP AEGRI SOMNIA VANA, veröffentlicht auf dem eigenen Label unter dem früheren Projektnamen ELECTRO STATIC CAT, konnte man schon erahnen, welch visuelles Entsetzen in den Köpfen der Protagonisten brodelte, doch war man hier und da noch an NURSE WITH WOUND erinnert. Auf der 1993 erschienen I’VE GOT TEARS... CD aber erreichten sie eine Einzigartikeit in der konkreten und experimentellen, dabei aber äußerst konzeptionellen Verarbeitung ihrer akkustischen Höllenvisionen, die auch mehr als 15 Jahre später nichts von Ihrer Faszination verloren haben. Das Foto auf der Innenseite der Inlaycard zeigt echt gut, was zu erwarten ist. HEADPHONE Music der angsteinflössenden Sorte.
Es erschien noch eine gute CD auf Kronotop, die aber die bedrückende Schwere der DRAGNET CD in keinem Moment erreichen konnte.
Die Band bestand übrigens bei der graphischen Realisation dieses Projekts darauf, dass vorgegebene CD-Layout ad absurdum zu führen und ließ die eigentliche Inlaycard außen als Booklet Seite 2, das eigentliche Booklet Titelbild als Inlaycard innen (erstes Foto dieses Postings), die 4 Seite des Booklets als Seite 1 des Booklets, usw. drucken, bzw. über uns in Auftrag geben. Ich vermute, die Drei würfelten die Reihenfolge aus. Interessante Kunstidee, aber ICH hätte mir trotzdem lieber das apokalyptische Höllenfoto als Bookletvorderseite gewünscht...
Die Ursprungsidee des Ladennamens (inkl. einer kleinen Hommage an THE FALL), der graphischen Umsetzung der Plastiktüten, Flyer, etc. und der Gitter entstand aus der Überlegung, wie man die Ware (Raritäten) optisch bestmöglich präsentieren konnte. Vor allem auch die Schaufensterpräsentation war da ein großes Thema. Die gefundene Lösung bot ausreichend Platz, viele Teile zu zeigen, ohne dabei den Blick von außen in den Laden gänzlich zu blockieren. Lange haben wir uns dieser - auf dem Foto abgelichteten – Clipper, oder wie man sie nennen will, bedient. Die Platten oder CDs steckten in PVC-Plastikhüllen oder CD-Taschen. An die Gitter wurden so S-förmige Haken angebracht, an den dann die Plastikschlaufe des Klippers befestigt wurde, der sich dann mit seinen ‚Zähnchen’ in die Plastikhülle verbiß und sie so festhielt.
Erstaunlicherweise gab es diese essentiellsten aller Dragnet - Ladenzubehörteile nur in dem extrem zugestellten, aber sehr sympathischen Küchen- und Gebrauchsartikelladen in der Mefferdatisstrasse, den es übrigens immer noch gibt. Eines Tages jedoch waren die Clipper aus dem Sortiment gestrichen worden und nicht mehr zu beschaffen. Wir haben alles Mögliche versucht, von Horrorpreisangeboten bis zu Bestechungsversuchen. Nix zu machen. Auch ein Herstellerkontakt war nicht möglich. Man erinnere sich bitte, das es zu der Zeit noch kein Internet (zumindest für den Normalgebrauch) gab. So mussten wir bis zum Schluß mit den vorhanden Exemplaren leben, die aber aufgrund der extremen (Be)nutzung immer stärker die Dienste verweigerten. Platten mussten schon lange den Hüllen entnommen werden, aber selbst einige LP-Cover konnten nachher kaum noch gehalten werden.